Social Media bietet nicht nur Betroffenen eine Bühne, um über ihre Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen zu berichten. Auch Therapeut:innen können die Plattformen nutzen, um über ihre Arbeit zu sprechen, über Therapieansätze zu informieren und um über Krankheitsbilder aufzuklären. Ist das eine Lösungsansatz, um psychische Erkrankungen öffentlich zu entstigmatisieren?
„3 Types of perfectionism“, „Can you trust your gut?”, „Benefits of being an overthinker” – Überschriften wie diese begegnen einem, wenn man auf dem Instagram Profil der britischen Psychotherapeutin Sophie Mort unterwegs ist. Unter dem Username @drsoph betreibt Mort einen Account mit über 90 Tausend Abonnent:innen. Ihre Beiträge setzen sich aus einem Mix aus Instagram-Reels, in welchen sie psychologische Begriffe und Konzepte erklärt, Zitaten, Infografiken und Memes zusammen. Morts Beiträge sind meist kurz und knackig, für jedermann verständlich aufbereitet, ohne komplizierte Fachbegriffe. Sie selbst wirkt sympathisch und nahbar, wie sie so in die Frontkamera ihres Smartphones blickt und erklärt, warum Gedanken keine Fakten sind, oder welche verschiedenen Formen von Empathie es gibt.
Accounts von Therapeut:innen sind auf sozialen Medien weit verbreitet. Auch deutschsprachige Therapeut:innen haben Instagram und Co. für sich und ihre Arbeit entdeckt. Anke Glaßmeyer betreibt unter dem Profilname @diepsychotherapeutin einen Account mit rund 25 Tausend Abonnent:innen. Dort spricht sie auch über Erfahrungen, die sie selbst bei der Arbeit in ihrer Praxis sammelt. Ihre Patient:innen werden dabei selbstverständlich anonymisiert. Auf Einzelgeschichten und individuelle Erfahrungen nimmt Glaßmeyer keinen Bezug. Vielmehr versucht sie allgemeine Beobachtungen und Erfahrungen von Betroffenen zu thematisieren und ihren Follower:innen dadurch Mehrwert zu bieten.
Social Media – Nährboden für Pop-Psychologie
Accounts, wie die von Anke Glaßmeyer und Sophie Mort, treffen auf Social Media den Nerv der Zeit. Vor allem seit Beginn der Corona-Pandemie kann man beobachten, dass Nutzer:innen mehr über Themen wie Depressionen, Angststörungen und andere psychische Erkrankungen diskutieren (siehe dazu auch „Von Tumblr bis TikTok“). Die menschliche Psyche, ist ein beliebtes Gesprächsthema in online Diskursen– das trägt sicher auch einen Teil dazu bei, dass Therapeut:innen Accounts sich einer wachsende Followerschaft erfreuen können. Ermöglicht Social Media einen Boom für die Verbreitung von Pop-Psychologie?
Wie der Name schon verrät, versteht man, unter dem Begriff Pop-Psychologie, dass psychologische Konzepte und Theorien für ein breites Publikum verständlich aufbereitet und dort mit großem Interesse aufgenommen werden. Psychologie für jedermann, quasi. Die Autorinnen des Ratgebers „Social-Media-Profile in Psychotherapie, Beratung und Coaching“ sehen in sozialen Medien den idealen Nährboden für die Verbreitung von Pop-Psychologie. Auf Instagram, Twitter und Co. wird meist auf Emotionalität, Unterhaltungswert und eine starke Bildsprache gesetzt. Trockene wissenschaftliche Inhalte können auf diesen Plattformen anschaulich heruntergebrochen werden und sind so auch für ein Laienpublikum zugänglich.
Spannungsfeld Social Media und therapeutischem Verzicht?
Soziale Medien sind darauf ausgelegt, Likes und Interaktionen zu generieren. Es muss ständig neuer Content produziert werden, oder man wird von den Tiefen des Algorithmus verschluckt. Ergibt sich Therapeut:innen daher ein Spannungsfeld zwischen den Spielregeln der Plattformen und dem eigenen therapeutischen Verzicht, also dem Anspruch therapeutisch frei von Eigennutz zu agieren? Die Autorinnen von „Social-Media-Profile in Psychotherapie, Beratung und Coaching“ empfehlen ihren Kolleg:innen „den eigenen Narzissmus im Blick zu behalten“, wenn sie sich dazu entschließen, Social Media für ihre Arbeit zu nutzen. Die Autor:innen sind der Auffassung, das Bedürfnis nach mehr Reichweite kann mit dem Anspruch, den man als Therapeut:in auf sozialen Medien verfolgt, nämlich aufzuklären und Hilfeangebote schaffen, kollidieren.
Es ist verständlich und nachvollziehbar, dass Therapeut:innen, die eigene Kanäle auf Social Media betreiben, ihre Reichweite steigern möchten. Schließlich vergrößern sie dadurch auch das Publikum, welches informiert und besser aufgeklärt werden kann, was zur Entstigmatisierung beitragen kann. Besonders wer eine private Praxis betreibt, hat hier wie jede:r andere Selbständige die Möglichkeit für potenzielle Klient:innen sichtbar zu werden. Außerdem bieten Social-Media-Auftritte von Therapeut:innen auch die Möglichkeit, die Praxen der Psychotherapie ein wenig transparenter zu gestalten, indem sie Follower:innen ein Einblick in die therapeutische Arbeit gewähren.
Life-Coaches, Self-Care und Affirmationen
Auf sozialen Medien kann sich jede:r am Diskurs beteiligen. Während Anke Glaßmeyer und Sophie Mort Verlinkungen zu ihren Websites im Profil aufführen, auf denen die User:innen über ihre therapeutischen Qualifikationen aufgeklärt werden, wimmelt es in der Mental-Health-Bubble auch von pseudowissenschaftlichen Life-Coaches, ohne fachlichen Hintergrund. Auf solchen Accounts finden sich minimalistisch gehaltene Infokacheln in stimmigen Pastellfarben. Oft ist von Manifestieren, dem Law of Attraction, Self-Care und Meditation die Rede. Das allein ist noch kein Problem, denn es handelt sich dabei um Konzepte, die für den ein oder anderen durchaus den Alltag bereichern können und ob man daran glauben möchte, mit der Macht der Gedanken Dinge positiv beeinflussen zu können, bleibt jedem selbst überlassen.
Kritisch kann es dann werden, wenn sich diese Accounts versuchen ihre Praktiken, als Heilung für psychische Erkrankungen zu verkaufen. Viele Coaches werben mit Testimonials, die ihre überragenden Fähigkeiten loben und beschwören, kein anderer hätte ihnen bisher so effektiv bei ihren Problemen helfen können. Dazu kommt, dass diese Dienstleistungen in Form von Coaching, selbstverständlich Geld kosten. Auf die Unterschiede zwischen Coaching und einer Psychotherapie machen die Betreiber solcher Accounts selten aufmerksam. Zum Teil verkaufen sie ihre eigenen Bücher oder bewerben Angebote wie kostenpflichtige Meditations-Apps. Betreiber:innen von Coaching Accounts locken mit Phrasen, die schnellstmögliche Genesung versprechen – für Menschen in psychischen Notsituationen klingt das attraktiv. Initiativen, die sich für die Interessen von Betroffenen einsetzen, warnen deshalb auch vor unseriösen Angeboten.
Self-Care Produkte auf Social Media – Kapitalisierung von Leid
Oft werden auf Coaching-Accounts Self-Care–Aktivitäten angepriesen. Das können Spaziergänge in der Natur, ein entspannendes Schaumbad, leckeres Essen, Meditation und Tagebuchschreiben sein.
Passend dazu boomt der Markt für Produkte und Utensilien zur optimalen Self-Care. Ätherische Öle, 5-Minuten Tagebücher für mehr Achtsamkeit, Detox-Tees… Die meisten Menschen genießen ab und an ein heißes Bad und ziehen Kraft draus sich etwas Gutes zu tun, vielleicht auch in Form einer teuren Gesichtsmaske oder einem Dankbarkeitstagebuch. Doch können Gesichtsmasken und Duftkerzen eine psychische Erkrankung heilen? Man muss kein Psychologie-Studium abgeschlossen haben, um dem gegenüber skeptisch zu werden.
Der Autor des 2021 erschienen Artikels in People’s World drückt es folgendermaßen aus:
“In a capitalist economy where no “need” or want goes unfulfilled if there is a profit to be made, it’s no surprise that “wellness”—a new marketable substitute to costly mental health care—has flourished recently.”
Aus dem Hilfebedürfnis vieler hat sich für die Wellnessindustrie demnach eine neue Möglichkeit Profit zu schlagen entwickelt. Kritische Stimmen, wie der Autor in People‘s World, sind deshalb der Auffassung, psychische Erkrankungen und das daraus resultierende Leid werden dadurch kapitalisiert.
Psychoedukation auf Social Media – Eine Notlösung?
Gerade in Zeiten, in denen Therapieplätze rar und die Wartelisten lang sind, suchen Betroffene nach Optionen zur Selbsthilfe. An diesem Punkt können Social-Media Accounts, sofern sie fundierte Informationen bereitstellen, anknüpfen. Eine erste Lösung in der Not so zusagen.
Social-Media-Konsum kann und soll jedoch keine auf Betroffene individuelle zugeschnittene Therapie ersetzen. Auch nicht, wenn die Inhalte von professionellen Therapeut:innen erstellt werden. Viele Accounts führen diesen Hinweis auf ihren Kanälen deshalb gut sichtbar auf. Auch Sophie Mort führt so einen Hinweis in ihren Story-Highlights auf. Denn eine Reihe an Infokacheln kann zwar einen ersten Eindruck über die Symptome eines Krankheitsbilds ermöglichen, mehr aber auch nicht. Die Diagnose von psychischen Krankheitsbildern ist komplex und kann in einem Instagram-Post kaum ganz abgedeckt werden, dafür reicht der Platz, den Instagram und Co. für Beiträge einräumen, erstens schlichtweg nicht aus. Zweitens sind psychische Erkrankungen immer auch eine individuelle Erfahrung.
Vielleicht ist Psychoedukation auf Social Media eben genau das: eine Lösung in der Not. Weil Informationen über psychische Erkrankungen sonst sehr viel komplexer aufbereitet und schwerer zugänglich sind und viele Menschen damit erst in Berührung kommen, wenn sie selbst betroffenen sind oder jemand betroffenes im näheren Umfeld haben. Weil Erkrankungen noch immer Stigma behaftet sind, das Gesundheitssystem gnadenlos überlastet zu sein scheint und hilfesuchende Menschen oft überhaupt nicht wissen, wo sie mit ihrer Odyssee, bis hin zum Therapieplatz, beginnen sollen. Es bleibt jedoch die Frage offen: Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn Psychoedukation für viele scheinbar nur auf Social Media gut zugänglich ist, oder wenn Menschen in psychischen in Notsituationen glauben gemacht werden, mit den richtigen Self-Care-Produkten könnten sie ihre Erkrankung heilen? Um abschließend einen Artikel des Vice Magazins aus dem Jahr 2018 zu zitieren: „Is self-care a symbol of a generation that wants to take care of itself, or does it reveal how our society has failed to take care of us?”
Weitere Leseempfehlung:
https://www.healthline.com/health/mental-health/self-care-is-hard#1