You are currently viewing Psychische Erkrankungen in Filmen und Serien – Der Forschungsstand
©Unsplash

Psychische Erkrankungen in Filmen und Serien – Der Forschungsstand

Wie werden psychische Erkrankungen in Filmen und Serien dargestellt? Wie tragen Filme und Serien zum Stigma um psychische Erkrankungen bei? Für diese Fragen interessieren sich Psycholog:innen und Medien- und Filmwissenschaftler:innen schon lange. Welche Erkenntnisse hat die Forschung in diesen verschiedenen Disziplinen bereits geliefert? Wo gibt es Unstimmigkeiten und Forschungslücken für zukünftige Studien?

Alfred Hitchcocks Psycho gilt auch noch heute als Meisterwerk des Horrors. Selbst wer den Film nicht gesehen hat, kennt meist die berühmte Duschszene: Norman Bates ersticht sein ahnungsloses Opfer Marion Crane unter der Dusche. Der merkwürdige und etwas schrullige Charakter des Norman Bates, der wegen einer scheinbaren dissoziativen Persönlichkeitsstörung in den Kleidern seiner toten Mutter Morde begeht, sorgte damals wie heute für Gänsehaut beim Publikum.

Norman Bates ist nicht das einzige Beispiel, für einen Filmcharakter mit psychischer Erkrankung. Vom wahnsinnigen Schurken Dr. Caligari über das schizophrene Mathegenie John Nash aus A Beautiful Mind bis hin zu Winona Ryder als emotional-labile Borderline-Patientin Susanna, in Girl Interrupted – psychische Erkrankungen wurden im Laufe der Film- und Fernsehgeschichte immer wieder neu aufgegriffen. Doch wie einige dieser Beispiele zeigen, polarisieren oftmals stereotype oder falsche Annahmen über Menschen mit psychischen Erkrankungen.

“Psycho”, “Monser”, “Freak” – Stigma in Filmen und Serien

Eine Statistik der USC Annenberg Inclusion Initiative und der American Foundation for Suicide Prevention aus dem Jahr 2019 hat gezeigt: Charaktere mit psychischen Erkrankungen in Filmen und Serien werden häufig herabgesetzt dienen zur Belustigung. „Psycho“, „Monster“, „Freak“ und „Soziopath“ – das sind Begriffe, mit denen die Charaktere oft bezeichnet werden. Suchterkrankungen, Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind dabei die meisten vertreten Krankheitsbilder. Aber auch affektive Störungen, wie Depressionen oder Denkstörungen, wie sie teil schizophrener Erkrankungen sind, werden in Filmen und Serien gezeigt.

Ergebnisse des AII-Report 2019 (eigene Darstellung)

Psychische Erkrankungen sind gesellschaftlich noch immer Stigma behaftet. Öffentliche Diskurse über Erkrankungen waren lange tabu waren und falsche Informationen über Krankheitsbilder halten sich weiterhin hartnäckig.

Beeinflussen Filme und Serien, wie wir über psychische Erkrankungen denken?

Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Disziplinen haben Unterhaltungsmedien, wie Spielfilme und Serien deshalb schon lange Zeit im Visier. Denn Medieninhalte öffnen Türen zu Welten, in die wir sonst keinen Einblick haben. Sie unterhalten und informieren uns und können damit auch Einfluss darauf haben, wie wir über bestimmte Dinge denken.

Es liegt nahe, dass sich die Psychologie deshalb seit Jahren mit der Darstellung von psychischen Erkrankungen in Unterhaltungsmedien beschäftigt. Aber auch andere Disziplinen, wie die Medien- und Kommunikationswissenschaft, die Filmwissenschaft und die Soziologie richten ihr Interesse darauf, welche Rolle Unterhaltungsmedien für das Stigma um psychische Erkrankungen spielen.

Fern ab der Realität? Wie werden psychische Erkrankungen in Filmen gezeigt?

Forschende aus den verschiedenen Disziplinen gehen dabei unterschiedlich vor. In einer Reihe kleinerer Fallstudien aus der Psychologie, hat man einzelne Film- und Serienbeispiele im Detail unter die Lupe genommen. Diese Studien beschäftigen sich vor allem mit narrativen Elementen von Filmen. Wie sind Charaktere mit psychischen Erkrankungen konstruiert? Wie verhalten sie sich? Wie werden sie gezeigt? Und stimmt das Gezeigte mit der medizinischen Realität der Erkrankungen überein?

Bei größeren, deskriptiven Studien werden Medieninhalte in einem breiteren Rahmen betrachtet. So werden beispielsweise Inhalte, die in einer bestimmten Zeitperiode erschienen sind, untersucht. Dadurch können im Idealfall generalisierbare Aussagen über die Darstellung von psychischen Erkrankungen in Unterhaltungsmedien getroffen werden. Die Studie Homicidal Maniacs and Narcisstic Parasites von Hyler, Gabbard und Schneider aus dem Jahr 1991 gilt als wichtiger Beitrag aus der Psychologie. Die drei Forschenden, konnten damals sechs Stereotype identifizieren, welche in Unterhaltungsmedien immer wieder aufgegriffen werden, um Charaktere mit psychischen Erkrankungen zu porträtieren.

Der gewalttätige Verrückte, der rebellische Freigeist, das erleuchtete Mitglied der Gesellschaft, die weibliche Patientin als Verführerin, der narzisstische Parasit und das Forschungsobjekt. Diese Typisierung von Hyler, Gabbard und Schneider gab anderen Forschenden aus der Psychologie einen Ausgangspunkt für weitere Studien zum Stigma in Unterhaltungsmedien.

Was löst das beim Publikum aus?

Wie wirken sich diese stereotypen Darstellungen auf das Publikum aus? Dieser Frage gehen Forschende aus der Medienwirkungsforschung und der Sozialpsychologie im Zuge von Befragungen und experimentellen Studien nach. Das Ziel dieser Studien ist, herauszufinden, wie mediale Darstellungen von psychischen Erkrankungen die Meinungen und Einstellungen von Konsument:innen beeinflusst.

Mehrere Forschende, wie zum Beispiel Darcy Granello und Pamela S. Pauley im Jahr 2000 oder Kimmerle und Cress im Jahr 2013, konnten in diesem Zuge einen Zusammenhang zwischen der Fernsehnutzung und stereotypen Annahmen über psychische Erkrankungen feststellen. Wenn die Befragten Film und Fernsehen als Hauptinformationsquelle über psychische Erkrankungen nannten, konnten die Forschenden  in beiden Studien beobachten, dass sie Menschen mit psychischen Erkrankungen eher ablehnten. Außerdem teilten die Befragten stigmatisierende Annahmen über Betroffene von psychischen Erkrankungen.

Allerdings muss man diese Ergebnisse auch immer unter Einbezug verschiedener methodischer Probleme betrachten. Zum einen ist die Gruppe an Befragten oft viel zu klein, um allgemeingültige Aussagen zu treffen. Oft werden nur bestimmte Personengruppen, wie Studierende einer einzelnen Universität, befragt. Zudem beschränken diese Studien sich oft auf den amerikanischen und englischsprachigen Raum.

Abstraktes greifbar machen

Forschenden geben diese Ergebnisse trotzdem zu denken. Vor allem Psycholog:innen, wie Otto Wahl und Glen Gabbard, die seit Jahren zum Stigma um psychische Erkrankungen forschen, betonen deshalb, dass es wichtig ist, Medieninhalte in der Anti-Stigma-Arbeit nicht außenvorzulassen. Obwohl psychische Erkrankungen in Film und Fernsehen nach diesen Studienergebnissen oft stereotyp dargestellt werden, glauben viele Wissenschaftler:innen, dass Unterhaltungsmedien großes Potenzial bieten, psychische Erkrankungen dem Publikum näherzubringen.

Filme und Serien ermöglichen es, unsichtbare Prozesse greifbarer zu machen. Sie geben uns die Möglichkeit in die Welt der Träume einzutauchen. Zeigen uns die Gedankengänge der Protagonist:innen, ihre Wünschen und Ängste. Viele Symptome von psychischen Erkrankungen bleiben dem bloßen Auge in der realen Welt verborgen. Audiovisuelle Medien eröffnen eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten, diese für Zuschauer:innen sichtbar zu machen.  Forschende aus der Psychologie hoffen, dass Erkrankungen so vielleicht auch besser verstehbar werden.

Positive Effekte?

Leider gibt es bisher nur wenige Studien, die sich mit positiven Medieneffekten von Unterhaltungsmedien auf das Stigma um psychische Erkrankungen befassen. Jedoch haben einige Forschende aus der Psychologie Kommentare und Essays hierzu verfasst. In diesen argumentieren sie, dass Unterhaltungsmedien als Bildungsinstrument fungieren könnten, um die breite Bevölkerung über psychische Erkrankungen besser aufzuklären und einen Berührungspunkt zu Betroffenen zu schaffen. Inwiefern das praktisch umsetzbar und wirksam ist, ist empirische allerdings nicht ausreichend belegt.

Ein Blick aus der Filmwissenschaft

Die Psychologie und Sozialwissenschaft betrachtet die Darstellung von psychischen Erkrankungen in Filmen und Serien vor allem mit Blick darauf, ob sie wissenschaftliche und medizinische richtig ist und wie sich das Gezeigte auf die Meinungen und Einstellungen des Publikums auswirkt. Dagegen setzt die Filmwissenschaft oft einen anderen Fokus.

Der Medienwissenschaftler und Filmemacher Hans Wulff,  schreibt in seiner 1995 erschienen Publikation Psychiatrie im Film, es gehe aus filmwissenschaftlicher Sich vielmehr um die erzählerischen Funktionen der Krankheit. Auch wäre es  relevant, in welche gesellschaftliche Diskurse, die Darstellungen eingebettet sind sowie die metaphorische Bedeutung der Krankheitsdarstellungen. Die Frage, wie Film und Serien psychische Erkrankungen entstigmatisieren können, treibt aber auch Forschende der Filmwissenschaft um.

Krankheitserfahrungen teilen und Selbstbestimmung zurückgewinnen

Können Betroffene Filme und Serien nutzen, um ihre Erfahrungen zu teilen?

Ann Jurecic ist Professorin im Fachbereich Englisch an der Rutgers University in New Jersey. Jurecic versteht Krankheit auch als eine Position, aus der heraus Geschichten erzählt werden können. Die Erfahrungen von Betroffenen beeinflussen demnach ihr persönliches Erleben. Filmen, die von den Erfahrungen von Betroffenen einer psychischen Erkrankung geprägt sind, können deshalb auch Aufschluss darauf bieten, wie eine Erkrankung sich auf sämtliche Lebenserfahrungen einer Person auswirken können.

Nach dem kanadischen Soziologen Arthur Frank, können Betroffene, dadurch, dass sie ihre Krankheitserfahrungen teilen, Selbstbestimmung zurückgewinnen. Aus filmwissenschaftlicher Perspektive sind audiovisuelle Medien somit auch eine Möglichkeit des Empowerments. In Filmen können Betroffene zeigen: „So lebe ich mit meiner Erkrankung und so wirkt sie sich darauf aus, wie ich Erfahrungen sammle.“

Forschung in Zukunft?

Aus den Forschungen und Überlegungen der verschiedenen Disziplinen ergibt sich ein breites Kaleidoskop, durch welches die Darstellung psychischer Erkrankungen in Filmen und Serien betrachtet werden kann. Dabei sind jedoch noch lange nicht alle Blickwinkel bekannt. Aus diesem Grund wären fachübergreifende Studien in Zukunft hilfreich, um mehr Antworten auf die Frage zu finden, ob und wie Serien- und Filme dazu beitragen können, psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren

Schreibe einen Kommentar